Das Rätsel der "Cheonan"
(16.4.10) Nach der Bergung des Achterschiffes der "Cheonan", das am 15.4. um 9.33 Uhr an drei Hebeketten des Schwimmkrans "Sama 2200" hängend über Wasser erschienen und dann gelenzt worden war, fanden Suchtrupps bislang 36 der 44 vermissten Seeleute.
Inzwischen wurde die Suche eingestellt.
Möglicherweise wurden die noch acht nicht aufgefundenen Leichen von der Strömung am Meeresgrund fortgetragen oder wurden von der Explosion vollständig zerrissen.
Zunächst war das Wrack um 12.11 Uhr auf einer 3000-Tonnen-Barge aufgepallt worden, was sich wegen der starken Verformungen des Rumpfes als kompliziertes Unterfangen erwies.
Um 15.05 Uhr waren dann die notwendigen Suchleuchten installiert, sodass die Suchtrupps ins Schiffsinnere eindringen konnten.
Die ersten vier Toten wurden um 15.15 Uhr nahe der Messe gefunden, ein fünfter in einer Abteilung mit Kojen.
Der sechste lag in einem Munitionslager.
Die nächsten 12 wurden zur einen Hälfte in den Unterkünften und zur anderen in den Duschräumen oder Toiletten entdeckt.
Das Eindringen in die Räume erwies sich als extrem schwierig. Maschinenkontrollraum und Kombüse waren völlig zerstört, hier fanden sich auch keine Leichen.
In den Räumen des Schiffes hatten sich keine Anzeichen auf Lufttaschen nach dem Untergang gefunden, in denen einzelne Seeleute länger hätten überleben können.
Um die Identifizierung der Toten zu unterstützen, kamen vier Vertreter der Angehörigen der Vermissten auf die Barge.
Die geborgenen Toten wurden auf Bahren mit Tüchern bedeckt ins Freie gebracht und anschließend mit Hubschraubern zur Marinebasis Pyeongtaek geflogen, wohin die Barge mit dem Kriegsschiffs-Wrack voraussichtlich am 16.8. auch gezogen werden wird.
Das Schadensbild spricht derweil gegen einen Untergang durch Materialermüdung oder eine Grundberührung, die auch wegen des Fehlens von Unterwasserhindernissen in dem Seegebiet als wenig plausibel erscheint.
Auch eine interne Explosion gehört offenbar zu den unwahrscheinlichen Szenarien.
Die Maschinen waren intakt, und eine Munitionsexplosion dürfte wegen der sehr strengen Sicherheitsvorschriften nahezu ausgeschlossen sein.
Es sieht eher nach der Wucht eine Unterwasserexplosion aus, die den Rumpf in Form eines umgedrehten V aufgerissen und die unteren Decks nach oben gedrückt hat.
Eine Seemine befände sich normalerweise aber zu tief unter Wasser, um eine solche Wucht zu haben, wie sie auf die "Cheonan" einwirkte.
Zwar könnte prinzipiell eine an der Wasseroberfläche befindliche, alte Treibmine das Desaster ausgelöst haben, doch ist deren Auftreten in dem Seegebiet angesichts der starken Strömungen dort physikalisch eigentlich kaum möglich.
Experten halten dennoch den sogenannten "Bubble Jet Effekt", also eine extreme Luftdruckveränderung, den eine Mine erzeugen kann, die in einer gewissen Distanz unter einem Schiff detoniert, für eine mögliche Erklärung.
In einem solchen Fall reißt die Explosion ein Loch in ein Schiff, und dieses kollabiert wegen der Veränderungen der Druckverhältnisse.
Dabei können Wassersäulen bis zu 100 Meter hoch aufsteigen.
Auffallend am Schadensbild auf der "Cheonan" ist, dass, während die Backbordseite stark zerstört und deformiert ist, die Steuerbordseite relativ unversehrt blieb.
Das deutet darauf hin, dass die Explosion sich auf einen Teil des Schiffes konzentrierte, und dies lässt sich nur durch diesen Effekt ausgelöst durch Mine oder Torpedo erklären.
Eine interne Explosion hätte nach Einschätzung des Korea Advanced Institute of Science and Technology massivere Schäden im gesamten Schiffsinnern verursacht.
Tatsächlich aber waren Dieselantrieb, Öltanks und Gasturbine nicht durch die Explosion beschädigt worden.
Auch waren die Räume des Achterschiffs strukturell intakt geblieben, doch hatten die jungen Seeleute keine Chance zu entkommen gehabt, weil es sofort ins Dunkel getaucht war und binnen einer Minute nach der Detonation versank.
Die internationale Untersuchung, warum die Männer sterben mussten, steht derweil erst an ihrem Anfang.
Quelle: Tim Schwabedissen